Mark R

Tag 1

Mark R hat für sich selbst den Namen Dizzien gewählt, aber als er jetzt den Steuerraum betritt, läßt er ihn an der Tür zurück. Er stellt sich vor, wie sich der Name im Gang zusammenrollt, schnurrt und sich putzt, während Mark R vor den Bildschirmen ‘offiziell ist’. Nachher kann er ihn dann wieder aufnehmen und sich frisch und gestriegelt fühlen.
Mark R gleitet in der Ein-Zehntel-Schwerkraft auf seine Liege und gähnt die Kommunikations-Konsole an. Die Konsole erwacht und läßt ihre Bildschirme aufleuchten. Mark R genießt das Risiko, das darin besteht, daß am anderen Ende schon jemand zuschaut. Er hat noch einen anderen Code, um die Konsole zu steuern; einen braven Stimmcode. Den benutzt er, um sie abzuschalten. Die dritte Methode verwendet er nur, wenn er richtig sauer ist.

Missionskontrolle will offenbar Energie sparen und meldet sich nur über die Stimmleitung. Die menschliche Stimme versucht, maschinell zu klingen; wie immer redet sie ihn nur mit „Mark R" an und bemüht sich um einen emotionslosen Tonfall. Mark R revanchiert sich, indem er seine künstliche Stimme so persönlich wie möglich einsetzt, mit Verlegenheitslauten und Kieksern. Zwischen ihm und den Nackten in der Missionskontrolle besteht nicht viel Sympathie.
Er berichtet, daß ihm die Verkabelung zur Hydroponik Drei Sorgen macht, und daß er sie möglichst bald austauschen will. Missionskontrolle teilt ihm mit, er solle am nächsten Tag erst Messungen vornehmen, die Ergebnisse nach unten schicken, dann sehe man weiter. Mark R ist zufrieden; genau darauf hat er gehofft, jetzt hat Missionskontrolle die Verantwortung. Man trennt die Verbindung. Mark R wartet noch ein bißchen und hofft, daß Flugleitung noch mit ihm sprechen will. Er dreht die Ohren hoffnungsvoll hin und her, aber sie hat ihm offenbar nichts zu sagen. Schade; morgen wird sie ihn sprechen wollen, da besteht kein Zweifel. Er schaltet die Konsole mit einem Gähnen ab.

Mark R katapultiert sich aus dem Steuerraum und angelt in Gedanken seinen Namen aus der Luft. Dizzien segelt den Gang hinunter ins Observatorium und kümmert sich ein paar Stunden lang um seine Spektralaufnahmen. Er wartet, bis er am Abend in den Mondschatten eingetreten ist. Daraufhin fährt er den Notgenerator in Hydroponik Drei hoch, schließt ihn an und widmet eine hingebungsvolle halbe Stunde der Aufgabe, die Außenverkabelung zu diesem Modul mit einem Schweißbrenner zu bearbeiten. Danach demoliert er ein paar ausgewählte Kameras in der Kapsel. Außerdem holt er die Pflanzeimer mit den verrotteten Tomatenpflanzen aus Hydroponik Eins und baut sie im Eingangsbereich von Drei dekorativ auf.
Dann rollt sich Dizzien zum Schlafen in der Schwerelosigkeit seines gepolsterten Nests zusammen. Er ist überrascht, festzustellen, daß ihn so etwas wie ein schlechtes Gewissen lange Zeit am Einschlafen hindert.

Tag 2

Dizzien begibt sich in den Steuerraum und wird zu Mark R. Er teilt Missionskontrolle mit, daß die Verkabelung zu Hydroponik Drei durchgeschmort ist, während er schlief; die Pflanzen waren für ungefähr vier Stunden ohne Licht und Luft und sind sämtlich abgestorben. Weil sich die Kapsel derweil im Mondschatten befand, konnte keine Energie aus den Sonnensegeln zugeführt werden, und der Notgenerator ist aus unbekannten Gründen nicht angesprungen.
Missionskontrolle gerät in Aufregung und schaltet das Bild zu. Heute wird sie von einer menschlichen Frau vertreten. Mark R hält ihre Frisur für vulgär, beschränkt sich aber auf ein Spreizen der Schnurrhaare, das sie sicher nicht deuten kann.
Missionskontrolle verlangt ein Kameralink zu Hydroponik Drei. Mark R versucht pflichtbewußt, eines aufzubauen, aber ohne Erfolg. Kein Wunder, wie er erläutert, denn die Kameras hängen an demselben Kabelstrang. Tatsächlich, fährt er fort, scheinen auch die Kameras in den Cryoschlafkammern ausgefallen zu sein, und wer weiß was noch alles.
Missionskontrolle sieht aus, als wollte sie sich am liebsten die geschmacklosen Haare raufen. Sie erinnert sich rechtzeitig, daß für technische Dinge genaugenommen Flugleitung zuständig ist, und gibt ab.
Flugleitung erscheint auf dem Bildschirm, und Mark R zuckt unwillkürlich einen freundlichen Gruß mit dem Schwanz. Flugleitung ist eine junge, orange-weiße Katze mit einem feinen Sinn für Anstand. Mark R hat sie gern, Dizzien ist vermutlich sogar etwas verliebt in sie, aber das ist außerdienstlich. Sie ist eine aus dem großen, verläßlichen Heer der Lucys; 191-Lucy F, unter diesem Namen wird sie in der Flugleitung geführt. Ihren gewählten Namen, Radalin, kennen die meisten der Nackten sicher gar nicht.
Lucy F stellt eine Menge technischer Fragen, und Mark R antwortet vorsichtig - er hofft, daß seine Vorsicht wie Bedachtsamkeit wirkt. Ziemlich schnell kommt Lucy F auf den Gedanken, er solle doch mit einer tragbaren Kamera die Schäden aufnehmen und die Bilder direkt einspeisen. Mark R schlüpft also in das Geschirr einer kleinen Kamera und macht gefühlvolle Aufnahmen von verschmorten Kabeln und den Reihen schwärzlich hängender Tomatenpflanzen. Lucy F ist bestürzt. Nach diesen Bildern zu urteilen, ist vom Inhalt der Hydroponikanlage wirklich nichts mehr zu retten. Sie veranstalten eine kleine Videokonferenz mit Missionskontrolle. Mark R macht geltend, daß er es vorzöge, das ganze Modul abzukoppeln - er allein kann es nicht säubern, und bis die entsprechende Geräte verfügbar sind, hat die Verwesung möglicherweise auch auf die anderen beiden Hydros übergegriffen; und dann würde es kritisch.
Lucy F stimmt ihm zu, Missionskontrolle jammert über Materialkosten. Lucy F rechnet ihr vor, daß das Hydro-Modul praktisch nur aus Folien und Aluminium-Streben besteht, und daß es tatsächlich schon vorgekommen ist, daß die ganze Atmungs- und Lebensmittelanlage einer Kapsel über die Ventilation infiziert und zerstört wurde. Missionskontrolle versteift sich auf nötige Rücksprachen und will am nächsten Tag eine Entscheidung verkünden. Lucy F und Mark R rümpfen synchron die Nase, das alte Zeichen für alles, was mit Feigheit zu tun hat. Dann hat Mark R wieder seine Ruhe und kann die dienstliche Identität an den Nagel hängen.

An diesem Abend, nachdem er etwas an den Luftschächten herumgedoktert hat, plagen Dizzien ausgeprägte Gewissensbisse. Was tut er hier eigentlich? Er schadet denen, die ihm einen gefährlichen , verantwortungsvollen Job anvertraut haben. Dies ist nicht nur Betrug an seinen Arbeitgebern, es läuft auch Dizzien’s Ethik zuwider. Er lügt einfach ungern. Er hat ein Versprechen abgegeben, und er ist sich sicher, daß es ein gutes Versprechen war, aber dennoch...
Während der nächsten Stunden schreckt er immer wieder aus seinem Schlaf hoch, verwirrt maunzend. Mitten in der Nacht geht ihm auf, wie wenig Bedenken er in dem Zeitraum hat, in dem er nur Mark R ist - nur eine berechenbare Größe mit weitgehend bekannten Eigenschaften. Warum nicht den sensiblen Namen Dizzien ablegen, den ganzen morgigen Tag, bis diese Sache ausgestanden ist? Er beschließt, dies am Morgen sofort zu tun.

Tag 3

Dizzien trennt sich unter der winzigen Kuppel des Observatoriums formell von seinem Namen, für eine gewisse, hoffentlich sehr kurze, Zeit. Er hegt eine etwas lächerliche Hoffnung, daß ihm der Name die Trennung nicht so übelnimmt, wenn er in der Zwischenzeit Sternenlicht um sich hat.
Beschwingt und mit wehendem Schwanz segelt Mark R zum Steuerraum, macht eine krallenlose Punktlandung auf der Liege und gähnt die Konsole in Aktion. Missionskontrolle ist diesmal leider schon auf Empfang und betrachtet ihn etwas verdattert. Mark R entlockt seinem künstlichen Kehlkopf ein Räuspern und erklärt, er habe aus Besorgnis nicht viel geschlafen, weil offenbar schon verrottendes Pflanzenmaterial in die Luftschächte eingedrungen ist. Er zeigt Bilder; die schleimigen Kompostreste, die er auf den Belüftungsgittern platziert hat, sehen wirklich bedrohlich aus.
Missionskontrolle, heute mit dezenterer Frisur, nickt und läßt verlauten, daß das Absprengen der Hydroponikeinheit Drei genehmigt worden ist - hier muß Mark R seine freudig zuckende Schwanzspitze eisern bändigen, aber dann kommt der Nachsatz: erst nach dem nächsten Mondumlauf. In 32 Stunden. Diese Umlaufbahn sei schon mit genug Schrott beladen.
Mark R sträuben sich die Nackenhaare. In 32 Stunden? Aber das Modul muß doch sowieso aus der Ekliptik herausgeschleudert werden, es geht gar nicht in Umlaufbahn, warum es nicht gleich absprengen...
Missionskontrolle erklärt, man habe Bedenken, daß es beim Verlassen der Bahn einen Zusammenstoß mit schon vorhandenem Abfall geben könnte, daraus dann viele Splitter und entsprechenden Ärger. Die Chance sei gering, aber dennoch...
Und ich muß deshalb die ganze Nacht ohne Namen bleiben, denkt sich Mark R und kocht innerlich beinahe über. Er kann kaum höflich bleiben. Als das Gespräch mit viel gutem Willen als beendet erklärt werden kann, paßt er den ersten Moment ab, in dem Missionskontrolle den Kopf etwas wendet, und schaltet die Konsole auf die dritte Art aus: er fällt die breiten Druckknöpfe mit Zähnen und Klauen an. Das System interpretiert die Übereingabe richtig und schaltet sich ab.
Mark R kauert ein paar Minuten lang auf seiner Liege und keift wie ein Frettchen. Er kann seinen Namen nicht wieder aufnehmen, bis alles ausgestanden ist. Und ohne einen selbstgewählten Namen wird keine vernünftige Katze schlafen. Es besteht die Möglichkeit, daß der schlafende Geist seine Identität vergißt, wenn kein Name da ist, an dem er sich ausrichten kann. Jetzt muß er sich für die nächsten 32 Stunden mit Gewalt wachhalten.
Herrlich!

Er hat sich gerade wieder etwas beruhigt, als die Konsole ihn anpiepst. Mürrisch gähnt er zurück. Aber es ist nur die Lucy aus der Flugleitung, die zu spät zur Unterredung gekommen ist. Sie kennt die Fakten schon, ist aber doch erstaunt, Mark R so verärgert zu sehen. Da keine Menschen zugegen sind, verzichten sie auf die Benutzung ihrer elektronischen Stimmbänder und unterhalten sich so, wie es sich für Fellträger gehört: mit Ohren, Schnurrhaaren, Blicken und Körperhaltung.

~ Was ist das Problem? fragt sie. ~ Ist ein Tag Warten für dich so unerträglich?
Mark R beschließt, es sich nicht unnötig schwer zu machen und hart an der Wahrheit zu bleiben. ~ Ich habe meinen Namen abgelegt, bis die Gefahr vorbei ist ~, erklärt er. ~ Um meine Urteilskraft nicht zu trüben. Ich dachte, in ein paar Stunden ist alles vorbei. Jetzt muß ich natürlich wach bleiben... ~
Lucy F zieht mißbilligend die Lippe hoch. ~ Das war sehr leichtsinnig. Wenn etwas dazwischenkommt und du noch länger warten mußt, was dann? Wirst du deinen Namen beleidigen?
Mark R schaudert. 32 Stunden ohne Schlaf sind für die meisten Katzen schon hart an der Grenze des Erträglichen, danach werden sie langsam wahnsinnig. ~ Dann muß mein Name sich beleidigen lassen ~, meint er.
Lucy F grinst. ~ Ich werde dich wachhalten, wann immer ich eine Verbindung bekomme. Aber ich werde dazwischen etwas schlafen! Und meinem eigenen Namen Hallo sagen - Mark R. ~
Sie schnurrt kurz. ~ Ist Mark nicht eigentlich ein Name für Nackte? ~, fragt sie dann.
Mark R bleckt amüsiert die Zähne. ~ Es ist ein Name für Nackte wie für Katzen. Es gibt auch Menschen, die Lucy heißen, weißt du. ~
~ Tatsächlich? ~ Lucy F ist erstaunt. ~ Mir ist noch nie einer über den Weg gelaufen.
~ Das liegt sicher daran, daß ihr Lucys so erfolgreich geworden seid. Du bist eine 191-Lucy, richtig? Ein Name mit so vielen Müttern, das ist den Nackten nicht mehr individuell genug. Sie können sich ja selber keinen neuen wählen. ~
„Prrrr", meint Lucy F. ~ Mark als Katzenname ist mir aber völlig neu. Welche Linie bist du denn? ~
~ Eins ~, sagt Mark R mit einem Anflug von Stolz.
Lucy F’s Ohren zucken erstaunt in die Höhe. ~ Mark ist ein neuer Linienname? Kein Wunder, daß ich keine kenne... sind deine Geschwister auch in der Raumfahrt? ~
~ Nein ~, antwortet Mark R unbehaglich. Eigentlich hätte er das Gespräch nicht in diese Richtung laufen lassen sollen. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Eine Dummheit...
~ Wir sind zwar alle überdurchschnittlich schwerelosigkeits-tolerant, aber einige von meinen Geschwistern hatten ein paar andere Probleme... die überwältigende Intelligenz und das blendende Aussehen sind allerdings linientypisch! ~ Er sträubt seinen graugetigerten Schwanz wie eine Flaschenbürste und legt kurz die Ohren an, um zu zeigen, daß er es nicht ernst meint.
Lucy F simuliert das Herauswürgen eines Haarballs. Dann grinst sie. ~ Oh, glaube nicht, daß ich nichts über deine Linie in Erfahrung bringen kann. Die Datenbanken hier sind immer sehr aktuell... nun, ich hab’ noch andere Dinge zu tun. Schlaf nicht ein, und in ein paar Stunden melde ich mich wieder. ~
Die Konsole schaltet sich ab.
Mark R seufzt. Er verläßt den Steuerraum und bleibt Mark R.

Er streicht ruhelos durch die kurzen Gänge, die kleinen Räume der Kapsel miteinander verbinden. Er sollte die Zeit nutzen und sich um die Auswertung der Spektralaufnahmen kümmern; aber im Observatorium wartet sein Name, und er möchte lieber nicht in dessen Nähe kommen, um nicht am Ende doch schwach zu werden. Noch so eine Auswirkung, die er nicht bedacht hat.
Er verbringt einige Zeit mit einem Hörbuch. Schließlich entscheidet er, daß es klug wäre, sich aktiv und in Bewegung zu halten, und außerdem hat er das Gefühl, etwas Entspannung verdient zu haben. Also greift er sich den Käfig mit den Flippermäusen aus Hydroponik Zwei und begibt sich in die kleine, kugelige Sportmodul, das in Schwerelosigkeit an der Außenhülle hängt. Er öffnet den Käfig und versucht eine einzelne Maus herauszustoßen. Aber die kleinen Tiere mit den paddelartigen Flughäuten zwischen den Zehen haben alle ein Interesse daran, ihrem Käfig zu entkommen, und wuseln agil seinen Arm hinauf und hinaus in den freien Luftraum des Moduls.
Was soll’s, denkt sich Mark R, schlenkert eine doppelte Pfote Mäuse in die Luft, drückt den Käfig mit den paar Übriggebliebenen zu und macht die Tür dicht. Dann hat er eineinhalb Stunden anstrengenden Jagdspaß.

Später, als er sich und den Sportraum wieder in einen ansehnlichen Zustand versetzt hat, schaut er kurz bei den Bildschirmen vorbei und sieht, daß Lucy F mit ihm sprechen will.
Er schaltet sich ein. Lucy F sieht ernst aus. Mark R würde sich am liebsten sofort davonmachen; er weiß, was kommt.
~ Es tut mir leid, Mark R, ich hätte da nicht meine Nase hineinstecken sollen. Natürlich habe ich genug gefunden in den Datenbänken. Ich habe nicht gewußt, daß man acht von deinen Geschwistern wegen Feralismus gefeuert hat und daß ... ~
~ Ich hätte es dir auch erzählen können ~, unterbricht Mark R sie. Er gibt sich gelassener, als er ist. ~ Ja, aus meinem ersten Geschwisterwurf sind drei Brüder inzwischen radikale Feralisten; Mark F und H aus dem zweiten Wurf sind, soviel wir wissen, irgendwo in Australien in den Wäldern verschwunden, und auch bei den meisten anderen hat man einen starken Drang zur Verwilderung festgestellt. Das macht vierzehn von uns zwanzig. In meinem Wurf ist es bisher noch nicht aufgetreten ~, sagt er und fragt sich gleichzeitig, wie gut ihre Recherchen wohl gewesen sein können.
Leider recht gut, wie er sofort feststellt. Lucy F maunzt erstaunt.
~ Dann weißt du es noch gar nicht? Mark Q und S, deine zwei Wurfbrüder, sind vor drei Wochen verschwunden! Man nimmt an, daß sie sich auch nach Australien abgesetzt haben. Das fiel wahrscheinlich fast mit deinem Start zusammen, deshalb wirst du es nicht mitbekommen haben... oh, es tut mir leid... ~ Lucy F peitscht unglücklich mit dem Schwanz hin und her. Mark R sinkt innerlich in sich zusammen. Jetzt muß er den Überraschten spielen. Nun ja. Das sollte ihn zumindest wach halten.

Tag 4

3 Stunden vor dem Zeitpunkt des Abwurfs taucht Mark R schwankend aus dem Steuerraum auf. Er hat sich da drin die ganze Nacht um die Ohren geschlagen. Lucy F war so entsetzt von dem Gedanken, daß sie Mark R in seiner schwierigen Lage noch zusätzlichen Kummer aufgebürdet hat, daß sie mehr als zwanzig Stunden wachgeblieben ist und mit ihm geredet hat. Und sie haben sich blendend verstanden. Wäre es Dizzien gewesen, der da vor dem Bildschirm lag, so hätte er ihr wohl ohne Umschweife eine Liebeserklärung gemacht. Mark R ist nun einfach zu müde, um sich genau zu erinnern, was er so alles von sich gegeben hat; aber er weiß, das die letzten Dinge jetzt noch zu tun sind.
Er macht ein paar finale Filmaufnahmen von den inzwischen fast zerfallenen Tomatenpflanzen, und stopft sie in den Müllschlucker. Dann begibt er sich in die Cryoschlafkammer.
Die blinde Kamera an der Decke schaut ihm dabei zu, wie er die Schlafboxen Eins und Zwei aus ihrem Wartemodus fährt. Statt des Dummies, der in ungenützten Schlafboxen die hautenge Hülle in Form hält, liegt jeweils die regungslose Gestalt eines graugetigerten Katers darin.
Mark R läßt zwanzig Minuten verstreichen, damit sie vorsichtig und behutsam aufwachen können, dann hilft er Mark Q und S aus ihren Särgen.
Die beiden sind die Fast-Schwerelosigkeit nicht gewöhnt; sie müssen sich an ihm festhalten, um nicht durch die Gänge zu trudeln, während sich die Brüder in die Hydroponikeinheit Drei begeben. Erst dort sprechen sie miteinander, weil Mark R nicht genau weiß, wie gut die Tonübertragung in der Kapsel ist; und auch so ist das Gespräch kurz.
~ Danke ~, sagt Mark S, wortlos natürlich - er hat seinen künstlichen Kehlkopf seit Monaten nicht mehr benutzt. ~ Ich hätte nicht gedacht, daß du es durchziehen könntest. ~
~ Ich auch nicht ~, meint Mark R säuerlich. ~ Ich habe mir auch selbst genug Steine in den Weg gelegt - besser, wenn ihr das nicht wißt... Ihr seid euch immer noch sicher, daß ihr es durchziehen wollt? ~
~ So sicher wie eh und je ~, sagt Mark Q. ~ Dieses Modul mag winzig sein, aber hier kann uns niemand kontrollieren oder Zivilisationsmüll hinterherwerfen; wir sind hier ganz auf uns gestellt. Wenn wir die Vögel und die Nager freigelassen haben, und wenn wir den Pflanzen geholfen haben, zu verwildern, dann werden wir hier eine Abgeschiedenheit besitzen, die sich auf der Erde überhaupt nicht mehr finden läßt. Ich freue mich darauf. ~
~ Hmmm ~, meint Mark R. ~ Da fällt mir ein, wollt ihr ein paar von den Flippermäusen? Ich hätte noch ein Pärchen übrig. ~ Aber die beiden sträuben ablehnend die das Nackenfell.
~ Willst du nicht doch mitkommen? ~ fragt ihn Mark Q dann. ~ Es würde dir sicher gefallen, die Anlagen sind auch in dir. ~
~ Nein ~, sagt Mark R mit Bestimmtheit. ~ Ich bin eine richtige Zivilisationspflanze. Ohne Bücher und ohne mein Observatorium würde ich mich einsam fühlen, und außerdem wollt ihr ja keine Flippermäuse mitnehmen... ~
Die beiden schniefen belustigt. ~ Gut ~, sagt Mark Q. ~ Dann hilf uns bitte noch, diese Dinger loszuwerden. ~
Mit viel Feingefühl werkelt Mark R einige Zeit an den Kehlen seiner Brüder herum. Dann liegen die zwei Kehlkopfprothesen schließlich vor ihm auf dem Boden.
~ Danke nochmals. ~ Mark S schnurrt. ~ Mach dir um uns keine Sorgen. Viel Glück! ~
Mark R tauscht Nasenstüber mit seinen Wurfbrüdern, trägt die Prothesen hinaus und verriegelt von außen die Schleuse.
Er wirft die Prothesen in den Müllschlucker und wandert sehr, sehr langsam in den Steuerraum, um die Freigabe zur Absprengung zu erwarten.
Auf dem Weg dorthin wirft er einen vorsichtigen Blick ins Observatorium und stellt sich vor, daß sein Name dort unter der Decke schwebt. Was Dizzien wohl davon halten wird, wie die Sache abgelaufen ist?
Wahrscheinlich wird er durchaus zufrieden sein. Dizzien liest schließlich Kipling. Und diese Katzen sind ihren eigenen Weg gegangen.

florian weller aug MMII

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